Folge #6 - Anweiden

Es ist gerade Anfang April - in der vergangenen Woche wurden die Uhren umgestellt und bei mir am Stall sieht man wieder täglich Besitzer-Pferd-Kombis zum Gras tingeln. Das sogenannte "Anweiden" ist angesagt, damit die Pferde demnächst wieder auf die Wiese können. 

 

Das Ziel vom “Anweiden” ist es, das Pferd wieder langsam an Gras zu gewöhnen, wenn dieses in den Wintermonaten nicht zur Verfügung stand, weil viele Pferde im Winter nicht auf die Weiden kommen, um diese nicht kaputt zu treten. In diesem Zuge hat sich auch  die Verdauung umgestellt.  Um frisches Gras zu verdauen, werden andere Darmbakterien benötigt als bei der Verdauung von Heu - und es braucht natürlich Zeit, damit sich diese benötigten Darmbakterien bilden können. 

Wenn man zu schnell zu viel frisches Gras zuführt,  kann es nach einer längeren Zeit ohne Gras zu Aufgasungen, Koliken oder auch Kotwasser kommen. Andersherum ist es übrigens auch wichtig, das Pferd im Herbst auch langsam wieder vom Gras zu entwöhnen und auf Heu umzustellen, wenn die Weidesaison zu Ende geht. 

 

Um den Körper an das Gras zu gewöhnen und die Darmbakterien zu bilden, benötigt das Pferd in der Regel mehrere Wochen - daher sollte man rechtzeitig mit der Umgewöhnung anfangen. 

 

Wann genau ist denn der richtige Zeitpunkt? - Ja das ist eine wirklich gute Frage und lässt sich leider nicht pauschal beantworten, da es abhängig davon ist, wie das ganze bei dir am Stall organisiert ist. 

 

Für die Weiden und auch für die leichtfuttrigen Pferde wäre es besser mit der Weidesaison erst nach der Blüte der Gräser zu starten. Dann kann die Artenvielfalt auf der Weide sich erst entfalten und der Fruktangehalt im Gras ist nicht mehr ganz heftig, wie im Wachstum. Das wäre aber vermutlich erst Mitte Ende Juni der Fall und so lange warten die Stallbesitzer in der Regel nicht - nach den Wintermonaten gieren die Pferde ja mit Beginn des Wachstums schon darauf das Gras zu fressen und die Besitzer möchte nach vielen Stunden in den Boxen oder auf den Paddocks den Pferden natürlich die Möglichkeit geben, so schnell wie möglich wieder auf die Weiden zu kommen. Aus früheren Tagen wird ganz häufig schon Ende April / Anfang Mai die Weidesaison in vielen Ställen eingeläutet. Von früher hält sich nämlich hartnäckig der Glaube, die Weidesaison geht von Mai bis Oktober. Dabei vergessen wird aber sehr oft, dass unsere Pferde heute bei weitem nicht mehr so viel Energie benötigen, wie die Arbeitspferde von damals, welche den hohen Energiegehalt im Wachstum vor der Blüte noch gut verpacken konnten. Zudem waren die Weiden früher noch sehr viel arten- und kräuterreicher und boten damit deutlich mehr Abwechslung als das heutige sehr fruktanreiche Weidegras, was es vielerorts gibt. 

 

Wie viel und wie lange im Vorfeld du mit dem Anweiden beginnen solltest, hängt aber noch von weiteren Faktoren als vom Beginn der Weidesaison ab - nämlich unter anderem auch davon, wie empfindlich dein Pferd auf die Umstellung reagiert und auch davon mit welcher Weidedauer Eure Weidesaison am Stall startet. Werden Eure Pferde direkt den ganzen Tag auf die Weide gelassen, dann solltest du mehr Vorlauf und Zeit für das Anweiden einplanen als wenn die Weidezeit Stück für Stück gesteigert wird und der Stallbesitzer sich somit auch in den  Anweideprozess einbringt. 

 

Es ist natürlich toll, wenn der Stallbesitzer sich an dem Prozess beteiltigt, aber bendenke dabei immer, dass die Verantwortung für dein Pferd am Ende jedoch immer bei dir liegt und nicht beim Stallbesitzer. Wenn sich dieser am Anweideprozess beteiligt, in dem er die Weidezeit schrittweise steigert, dann habe im Blick, dass das für den Stallbesitzer auch immer zusätzlicher Aufwand ist, da er die Pferde ja dann nach einer gewissen Zeit wieder reinholen oder umstellen muss. Gerade wenn die Pferde noch nicht lange auf der Weide stehen, kann das auch mal dazu führen, dass sich das ein oder andere Pferd nicht einfangen lässt und dein Stallbesitzer einen deutlich höheren Aufwand hat.

Spreche dich daher gut mit deinem Stallbesitzer ab und kläre im Vorfeld, was er leisten kann und möchte, wie du ihn unterstützen kannst oder welchen Part du vorab übernehmen kannst, damit der Plan am Ende Hand in Hand geht - deinem Pferd zu Liebe. 



Bei uns läuft es so, dass die Pferde bis zum Weidestart, der irgendwann je nach Wetter und Graslage Anfang Mai sein wird, bereits so angeweidet sein müssen, dass sie mindestens eine halbe Stunde raus können. Dann kommen Sie alle paar Tage etwas länger raus. 

Ich bin in diesem Fall dafür zuständig die erste halbe Stunde anzuweiden und den Rest übernehmen dann die Stallbesitzer. Das ist eine gute und faire Aufteilung, wie ich finde. Mein Stallbesitzer muss nicht schon direkt nach dem Rausbringen die Pferde wieder einsammeln, weil sie bei 0 starten und ich muss nicht mehrere Stunden pro Tag daneben stehen… 

Wobei wir schon bei den Herausforderungen sind, die das Anweiden mit sich bringt. Die ersten Tage sollte man mit wenigen Minuten starten - das kann man gut an der Hand machen - doch je länger der Zeitraum wird, desto mehr Zeit muss man zustäzlich einplanen. Und nicht in jedem Stall übernimmt der Stallbesitzer bereits die Verantwortung ab einer halben Stunde. Oftmals müssen die Pferde schon soweit sein, dass sie 2 - 3 Stunden raus können und Hand aufs Herz, ich wüsste nicht, wie ich es hinbekommen sollte 2-3 Stunden täglich mit meinem Pferd an der Hand grasen zu gehen.  Aber auch dafür gibt es Lösungen. Ggf. kann man ein Stück Weide abtrennen und das Pferd dann dort alleine für einen Zeitraum grasen lassen, während man andere arbeiten macht oder ggf. sich mit einem anderen Stallkollegen zusammentun und die Pferde zusammen rausstellen. Was besonders wichtig ist -die Bewegung sollte gerade in diesem Zeitraum nicht zu kurz kommen. Du solltest daher grundsätzlich etwas mehr Zeit für den Stall einplanen, damit durch das Anweiden nicht etwa die Bewegung hinten über fällt. 

 

Was auf jeden Fall sehr wichtig ist, ist an dieser Stelle eine klare Kommunikation - wenn du Stallbesitzer bist, dann gebe deinen Einstallern rechtzeitig bekannt, wann du ungefähr die Weidesaison eröffnen möchtest und teile mit, wie lange die Pferde bis dahin angegrast sein sollten. Und umgekehrt - wenn du Einsteller bist, dann kümmer dich rechtzeitig darum, dass du Infos erhältst, damit du dir überlegen kannst, wie du das angrasen angehen kannst und möchtest. Und wenn ihr eine selbstorganisierte Stallgemeinschaft seid, dann sprecht euch ebenfalls ab wie ihr das Anweiden gestalten wollt, damit es für alle beteiligten umgesetzt werden kann - denn: Einmal angefangen mit dem Angrasen, sollte dieses dann auch wirklich täglich beibehalten werden - eine Pause von mehr als 48 Stunden führt dazu, dass du theoretisch noch einmal von vorne beginnen müsstest - natürlich kommt es auch bei dieser Aussage immer auch auf das Pferd an - je unempfindlicher dein Pferd ist, desto besser kann es eine Pause beim Anweiden verkraften. 

 

Mit steigender Weidezeit solltest du dann auch die weitere Fütterung deines Pferdes im Blick behalten und anpassen. Weide hat gerade im Frühjahr deutlich mehr Energie, Protein und Nährstoffe als das Heu vom letzten Jahr - hier gilt es dann zu prüfen, wie die gefütterte Heumenge schrittweise reduziert werden kann und wie Kraft- und Mineralfutter angepasst werden müssen. 

 

Wenn du dich jetzt fragst in welchen konkreten zeitlichen Schritten das Anweiden gessteigert werden kann und wie genau du Heu und Futter anpassen solltest,  dann empfehle ich dir gern meinen Mini-Kurs zum Thema Anweiden - dort schauen wir uns nochmal die verschiedenen Möglichkeiten und auch den zeitlichen Ablauf genauer an und ich erkläre dir, wie du Schritt für Schritt deinen individuellen Anweideplan aufstellen und gestalten kannst und was du am jeweiligen Punkt auch hinsichtlich der Reduzierung des Futters beachten solltest. Alle Infos zum Kurs findest du in Kürze bei mir auf der Homepage oder du schreibst mir eine Mail mit dem Stichwort: Mini-Kurs Anweiden. 

 

Und damit sind wir auch schon wieder am Ende des heutigen Beitrags. Ich wünsche dir und deiner Fellnase eine stress- und kolikfreie Anweidezeit und freue mich, wenn du auch in der nächsten Folge wieder mit dabei bist!

 

Ich unterstütze die Kampagne #doitride und #adoptierenstattproduzieren - für mehr Tierwohl in dieser Welt!